OK, fast ganz allein. Ich war nicht völlig allein, trotzdem war und ist es nach wie vor eine interessante Erfahrung. Kulinarisch sowie linguistisch – nur war ich dieses Mal besser vorbereitet. Passe ich mich langsam an? Aber alles der Reihe nach.
Nach unserer Übernachtung in Bautzen ging es am nächsten Morgen gegen 8 Uhr weiter gen Osten, weitere 356 km ins wunderschöne Polen. Wir haben noch den Bruder von meinem Freund eingesammelt und ihn mitgenommen. Die Sonne strahlte schon am Himmel und bedeckte die dunkelgrüne Auenlandschaft mit ihren Nebelschwaden mit feinem Goldstaub. Und je weiter wir gen Osten vordrangen, desto weiter wurde das Land: weniger Kieferwälder, vereinzelte Bäume oder Baumgrüppchen und vor allem unendlich riesige Felder, Mais, Getreide, Wiesen, ohne irgendwas, dazwischen ein paar Seen oder Tümpel.



Ich bin immer noch begeistert von dieser Weite, die ich hier gesehen habe. Ich meine, Norddeutschland ist echt schon flach und weit, aber da hatte ich nicht so das Gefühl von Weite wie hier in der polnischen Pampa. Schön war auch, als wir von der Autobahn noch 50 km teils von Alleen gesäumten Landstraße gefahren sind, dass das ungefähr ein Drittel der Fahrzeit ausmachte und auch so was wie ein Achterbahngefühl mit sich brachte. Alter Falter, da kam Angerstraßen-Feeling wieder auf, kurz: Es war etwas holprig. Etwas sehr. Warum wir die ganze „Tortur“ auf uns genommen haben? Ein Teil der Familie meines Freundes wohnt noch hier und die eine Tante mit ihrem Mann zusammen Geburtstag gefeiert. Was feiern auf Polnisch heißt, dazu komme ich gleich…
Unser kleines Landhotel Villa Antiqua (ja, wieder eine Villa) ist eine versteckte Perle und ein echter Geheimtipp, sollte man sich mal nach Raciborz verirren. Wir haben uns verirrt, weil mein Freund die falsche Adresse in sein Handynavi eingegeben hat und wir uns wieder mal in kürzester Zeit für eine Feier herrichten mussten. Irgendwie ist das immer so, wenn wir bei Feiern von Lukas’ Seite eingeladen sind… Keine Ahnung. Nach einer Speed-up-Umzieh-halbwegs-Style-Aktion fuhr der Shuttle auch schon rasant wie Polen nun mal düsen gen Fest-Location. Um 13 Uhr ging’s los.

Wer schon mal mit einer polnischen Großfamilie gefeiert hat, weiß, was das heißt. Für alle anderen fasse ich das folgene schon mal mit einem wohlklingenden Wort zusammen: Fresskoma. Richtig, in den nächsten 11 Stunden wurde fast nur gegessen oder getrunken oder getanzt und gesungen – natürlich polnische Folklore, die jeder, der hier aufgewachsen ist, aus dem FF mitsingen konnte. Nur eine Deutsche wie ich, die sich wirklich mit einem übelsten Basisvokabular von vielleicht 15 bis 20 Wörtern in Polen überm Wasser halten kann, die hat natürlich nur Bahnhof verstanden. Und die Folklorelieder sind ja wie bei uns die Schlager…
OK, jetzt der Reihe nach. Kurz nach 13 Uhr wurden alle Gäste liebevoll zu Tisch gescheucht, weil man sich ja nach der Begrüßung erst mal unterhält. Trotzdem dauerte es noch weitere 15 Minuten, bis wirklich alle saßen. Nach den Eröffnungsworten von Tante und Onkel wurde aufgetischt. Nudelsuppe, gefolgt von Fleischplatte (Braten, Cordon Bleu, gefülltes irgendwas), Kluski, Kartoffelbrei, verschiedene Krautsalate und Fleisch in Zwiebelsahnesoße, anschließend abgerundet mit Eiscreme oder wahlweise mit Eiskaffee. Nach einigen Gesangseinlagen eines regionalen Starschlagerduos inklusive Tanzbeinschwingen folgten Kaffee und Kuchen, genauer gesagt vier fette Buttercremetorten plus noch vier verschiedene Blechkuchen. Und Polen lieben es süß und mächtig, also viel Sahne und Zucker. Es gab auch Obst, dekorativ in Etagèren verteilt, aber ich glaube nach wie vor, dass es nur zur Deko dient und den gelegentlichen kleinen Hunger zwischendurch stillen soll. Nach einem Verdauungs-Air-Hockey-Hpiel vor der Tür folgte gegen 18 Uhr das Abendessen mit verschiedenen Salaten (beliebt war Ananas-Mais-Salat mit Mayo…), kalten Platten inkl. gefüllten Eiern und Sülze sowie Tartar. Zwischen all den Mahlzeiten wurde Wodka und Whiskey gereicht, und das nicht zu knapp. Half aber alles nichts bei der Essensmenge. Selbst hart gesottene Polen haben nach jedem Gang die Worte „Boah, ich kann nichts mehr essen“ gerufen, um dann doch beim nächsten Gang wieder voll dabei zu sein.




Als Zwischenunterhaltung spielte ein Alleinunterhalter ziemlich allein seine Lieder runter. Natürlich auch wieder alles auf Polnisch und nur bei den Gastgebern sehr beliebt. Ich muss zugeben, dass ich nicht nur vor dem vielen Essen nach draußen geflohen bin, sondern auch wegen dem… Das weitere Unterhaltungsprogramm bestimmte noch ein Cousin meines Freundes, der ein Spielchen vorhatte. Da durften wir auch mitmachen. Dabei treten zwei Teams gegeneinander an, die sich ein 3 m langes Seil, an dessen Eden jeweils ein Löffel geknotet ist, von unten nach oben durch die Kleidung um den Hals und wieder durch die Kleidung runter schieben und dann geht’s beim nächsten Teammitglied weiter. Bei Frauen in Kleidern ist das ja kein Ding, aber bei Männern im Anzug. Alter Falter, ich hab noch nie so viele Männerhosen auf einmal nach unten rutschen sehen. Ab dem Moment ist die Familie noch näher zusammen gerückt… Ach ja, unser Team hat gewonnen.
Als der DJ mal Pause hatte, hat die Jugend die Tanzfläche übernommen und das Handy mit moderner Mucke an die Lautsprecher angeschlossen. Hat funktioniert, jedenfalls bei uns vier „Jugendlichen“, die dann über die leere Tanzfläche gezappelt sind, bis die eine Tante kam und meinte, der DJ würde wohl nicht umsonst bezahlt. Danach kam besagter Mann wieder an seine Geräte und spulte in einem Affenzahn sein restliches Programm durch. Darunter waren auch traditionelle Tänze, das hat echt Spaß gemacht. Lag vielleicht auch am Alkoholpegel und Gesättigtkeit.
A propos satt: Gegen 22 Uhr gab es noch einen kleinen, flambierten Schinken, am Stück, also so 10 Kilo, mit Sauerkraut und Kartoffelspalten. Das letzte Essen war ja schon wieder gut drei Stunden her. Aber das war noch nicht der letzte Gang. Zu Guter letzt wurde noch Boscht mit gefüllten Kroketti gereicht, gegen 23 Uhr. Danach waren wir irgendwie alle fertig und es die Gesellschaft wurde langsam aufgelöst. Wir sind dann einfach nur noch ins Bett gerollt. Mehr ging da nicht mehr.

Wer jetzt denkt, dass das doch nur ein Tag war und nicht so schlimm klingt, harhar, der hat sich geschnitten. Wir waren zwei Tage dort… und ratet mal, was die Tante und der Onkel mit den Essensresten gemacht haben?
Das Essen ist scho der Wahnsinn – für einen Polen ist es eine Schande nicht genug anbieten zu können oder das Schlimmste, man geht hungrig nach Hause. Meine Mann gibt uns immer noch etwas mit, dass wir auch ja für den nächsten Tag versorgt sind. Als wir mal bei meiner Verwandtschaft in Polen waren, da sitzen wir grad mal beim Frühstück und aus der Küche riechst du schon das Mittagessen…. und bei jedem Besuch den man abhält muss man wieder was essen…..am Schluss rollten wir nur noch herum….. 😉
Ich kenne das auch nur so 😀