Nach unserer Festfutterei am Vortag war der Plan für den heutigen Tag: Ich esse heute wirklich nichts mehr. Ok, nicht mehr so viel wie gestern. Das fing bei mir jedenfalls schon beim Frühstück an. Während mein Freund noch selig im Bett schnarchte, bin ich mit einem Buch runter in den Frühstücksraum und habe einen Teil der Familie getroffen. Außer „Dzjindobry“ („Guten Morgen“) mit einem freundlichen Lächeln kam bei mir da nicht rüber. Mehr Konversation kann ich ja auch nicht. Die Kaffeemaschine war schnell gefunden, nur das Polnisch war etwas schwierig zu verstehen. Wagemutig habe ich auf die große Kaffeetasse gedrückt und das Display zeigte „Kawa“ (Kaffee) an. Puh, Glück gehabt. Mit einem Lächeln bin ich auf die Terrasse zu den anderen ausschließlich polnisch sprechenden Familienmitgliedern und hab mit meinem Kaffee gelesen. Jedenfalls hab ich es versucht. Denn die anderen sind ständig rein und raus wie Bienen in einem Bienenstock und haben Essen zusammengetragen und ja, gegessen! Dabei waren die alle gestern auch bei der Feier dabei und haben mindestens das gleiche in gleichen Maßen wie ich gegessen. Und jetzt aßen sie wieder in Mengen, die für mich unvorstellbar waren. Wahnsinn. Später kamen noch der Bruder und ein Cousin meines Freundes dazu und die konnten auch wieder essen und das nicht zu knapp. Wohl weißlich, dass wir um 13 Uhr wieder an der gestrigen Festlocation zum Mittagessen eingeladen waren. Ja, genau, das Essen ging weiter.
Das einzig Gute an diesem Futtergelage war, dass es weitaus weniger war als das von gestern. Vielleicht nur ein Drittel, und das war auch zu viel. Wieder wurden alle Beteiligten um 13 Uhr liebevoll zu Tisch gescheucht, dann gab’s gleich eine leckere Champignoncremesuppe mit Buttercroutons, gefolgt von einem Pilzsahneragout mit Rinderfiletbraten und Kartoffelspalten wie Rote Beete. Dafür gab’s keinen Nachtisch, sondern später die restlichen Kuchen und Torten von gestern. Wie gesagt, das Essen war wesentlich überschaulicher, aber auch sehr lecker. Und wer Nachschlag wollte, konnte sich den auch nehmen. Von allem war eh noch zur Genüge da. Und das haben viele auch gemacht, meine Wenigkeit auch eingeschlossen. Ja, Mann, das war halt lecker.
Weil der Magen etwas rebellierte, bin ich dann mit meinem Freund eine Runde ums Hotel durch das kleine Dorf spaziert. Hier schien die Zeit irgendwann in den 80ern stehen geblieben zu sein. Auch von den Straßen her, die immer nur da ausgebessert schien, wo halt mal ein Loch entstand. Manchmal erkannte ich nur am Auto, dass wir im 21. Jahrhundert sind, machmal aber auch am Haus. Sonst herrschte hier noch friedliche Ruhe mit kleinen graubraun verputzten Häusern, liebevoll gepflegten Gärten und vermüllten, ungenutzten Grundstücken dazwischen. Selbst Hunde scheinen hier ihre Freiheiten zu genießen und schlenderten in der Nachmittagshitze seelenruhig durch die Straßen.

Wieder zurück in der Festlocation herrschte Aufbruchsstimmung. Es wurden die Essensreste Kistenweise eingepackt, sowie auch die Gäste selbst. Und man fuhr geschlossen zu Oma, Tante und Onkel, den Gastgebern. Und kam dort angekommen, stellte sich die nächste Frage: Wann wollt ihr essen? Vor oder nach dem Besuch auf dem Erntedank-Dorffest? Ich hab mich der Mehrheit angepasst und wir sind erst mal zu dem Erntedankfest, das anscheinend jedes Jahr von einem anderen Dorf ausgerichtet wird.
Hier steppte der Bär, im wahrsten Sinne des Wortes. Hier traf sich alles zum Tanzbeinschwingen, Plaudern, Essen und Trinken. Es gab einen Essenstand, einen Bierstand, einen Kleinkrams-für-Kinder-Stand und zwei Hüpfburgen sowie mehrere alte Traktoren zum Angucken. Die Eltern von meinem Freund trafen sofort auf alte Bekannte, die ihnen einen wohl selbstgebrannten Vodka anboten, den aber keiner irgendwie runterbekam. Und irgendwie haben die sich dann dort verquatscht, während wir durch die Ruine des Schlosses vom Dichter Eichendorff geklettert sind und der Mond langsam aufzog. Mit der Dämmerung kamen auch die Fledermäuse raus. Und was für Oschis! Ich hab noch nie so große Fledermäuse am Himmel gesehen, die sahen auf den ersten Blick aus wie Amseln. Nur ihr Flug wirkte unkoordinierter und beim genaueren Hinsehen, hab ich die charakteristischen Flügel erkannt. Wahnsinn.

Nach und nach trödelte der Trupp wieder im Hof von Oma und Tante ein, es wurden Gartentische und Stühle zusammengestellt und nach und nach kam das Essen auf den Tisch. Fast alle Reste von gestern. Und trotz dem wirklich eisernen Vorhaben, dieses Mal tapfer nichts zu essen, scheiterte der Plan an einer Salzgurke… Danach haben wir doch noch Schinken, Salate und Kroketti gegessen. Nur den Kuchen haben wir wirklich sein gelassen und so kam es, dass wir uns kugelrund von der ganzen Familie verabschiedet haben. Die Meisten sind noch ein paar Tage in ihrer Heimat geblieben.

Trotz all der Futterei muss ich sagen, dass all dieses Zusammenhocken (ja, und auch das Essen) ein wunderschöne Zeit war, weil man sich ausgetauscht hat, über Geschehenes, Zukünftiges oder einfach normales Aktuelles. Und auch über ganz Wildes. Dann wurde auch mal länger hin und herdiskutiert. Nee, auch wenn ich immer noch durch die Gegend kugel, möchte ich es nicht missen, dass mein Freund mich mitgenommen hat. Ich war zwar fast allein unter Polen, aber gefühlt war ich nie allein, selbst wenn ich kein Wort Polnisch verstanden habe. Mit meinen paar Worten wurde ich herzlich aufgenommen, und selbst die paar Worte hätte es nicht gebraucht. Schön war’s.